Eine Politikerin ohne Berührungsängste

INTERVIEW MIT STEPHANIE EYMANN VON GABRIELA RÖTHLISBERGER | Fotos: © Michèle Faller

Gefühle haben einen nicht zu unterschätzenden Einfluss auf unser Handeln sowie gesellschaftliche Zusammenhänge. Auch in der Politik spielen sie eine zentrale Rolle – dessen ist sich Stephanie Eymann in der Ausübung ihres politischen Engagements bewusst. Sie grenzt wohldosierte Emotionen bei Entscheidungen nicht aus, sondern hält sie in Balance mit Rationalität und Vernunft. Als Tochter von Felix W. Eymann und Nichte von Christoph Eymann ist ihr ein ausgeprägtes politisches Empfinden von Kindesbeinen an vertraut.

Nach ihrem abgeschlossenen Studium der Rechtswissenschaften an der Universität Basel vor 19 Jahren arbeitete Stephanie Eymann als wissenschaftliche Assistentin und verfasste ihre Dissertation. 2012 schloss sie das Anwaltsexamen im Kanton Basel-Landschaft ab und war danach rund fünf Jahre lang als Staatsanwältin tätig. Von 2017 bis Anfang 2021 leitete sie die Verkehrspolizei von Basel-Landschaft.

Den Einstieg in die Politik erfolgte 2011 mit ihrer Kandidatur (FDP) für den Landrat, Nationalrat und den Gemeinderat im basellandschaftlichen Eptingen. Im Gemeinderat war sie acht Jahre lang zuständig für die Departemente Bauwesen, Sicherheit und Kultur, ferner hatte sie verschiedene Positionen in der Parteileitung der FDP inne. 2019 trat sie der LDP von Basel-Stadt bei.
Stephanie Eymann bekleidet das Amt der Departementsvorsteherin des Justiz- und Sicherheitsdepartements Basel und ist seit 2021 Mitglied des Regierungsrates im Kanton Basel-Stadt.

GESCHÄFTSFÜHRER*IN BASEL: Frau Eymann, in Ihrem weiteren und näheren Familienkreis finden sich doch einige Mitglieder, die seit vielen Jahren auf politischer Ebene ein souveränes Engagement gepflegt haben respektive bis zum aktuellen Zeitpunkt in der Politik aktiv sind. Wie sehr hat Sie dieses Umfeld geprägt?

Stephanie Eymann: Ich habe von meiner Familie schon früh mitbekommen, dass man sich für die Allgemeinheit einsetzen soll, wenn es einem selbst gut geht. Es stimmt, wir haben einige Politiker und Politikerinnen in der Familie. Aber es gibt auch viele, die kein Amt innehaben. Was uns alle eint, ist der Wille, sich für die Allgemeinheit einzusetzen. Das kann man ja auch ausserhalb der Politik tun, zum Beispiel in Vereinen. Das hat mich schon sehr stark geprägt.

Sie bezeichnen sich selbst als «Urkleinbaslerin», hatten aber Ihr Domizil zeitweise auch im Oberbaselbieter Dorf Eptingen, wo Sie das Amt einer freisinnigen Ge- meinderätin bekleidet haben und als Präsidentin der örtlichen FDP-Sektion fungierten. Wie sehr und warum fühlen Sie sich mit der Stadt Basel verbunden?

Für mich persönlich ist die Frage schnell und einfach zu beantworten: Kleinbasel ist meine Heimat. Hier bin ich auf- gewachsen, hier fühle ich mich wohl. Ich glaube, dass es Basel mit seiner ganz eigenen Kultur und Sprache den Baslerinnen und Baslern generell einfach macht, die Stadt zu mögen. Sie hat eine ideale Grösse – nicht zu klein, nicht zu gross – und ein unglaublich vielfältiges Angebot für ihre Ein- wohnerinnen und Einwohner. Natürlich gibt es dann noch den Rhein und viel Sonnenschein. Meine Gegenfrage lautet also: Wie kann man diese Stadt nicht lieben?

Als junge Mutter haben Sie im Herbst 1999 beherzt das Jura-Studium an der Uni Basel begonnen, um danach das Erklimmen Ihrer erfolgreichen beruflichen Karriere gekonnt mit dem Familienleben unter einen Hut zu bringen. Welche Ratschläge diesbezüglich können Sie durch Ihre eigenen Erfahrungen heute an junge Mütter weitergeben?

Ich habe meinen Werdegang nicht «trotz» meiner Tochter, sondern «wegen» meiner Tochter gemacht. Mein Verständnis von Gleichstellung ist, diese nicht nur zu fordern (was zweifellos auch wichtig ist), sondern selbstbewusst vorzuleben, auch wenn dies gewiss nicht immer einfach war. Auf allen meinen beruflichen Stationen war immer klar: Mich bekommt man nur mit Kind, Punkt.

Zahlreiche promovierte Juristinnen und Juristen scheinen, nicht nur in der Schweiz, bevorzugt ein politisches Mandat zu übernehmen – worin liegen Ihrer Meinung nach da die Zusammenhänge?

Das Jura-Studium fordert viel Fachwissen, aber auch eine Konzentration auf ein Problem, um dieses zu lösen. Dazu gehört es auch, sich mit verschiedenen Meinungen ausein- anderzusetzen. Das ist ein ideales Training und eine gute Voraussetzung für die politische Arbeit.

Wie meistern Sie als Regierungsrätin und Vorsteherin des Justiz- und Sicherheitsdepartementes Basel-Stadt Ihre Work-Life-Balance?

Ich habe mir vor der Kandidatur natürlich selbst die Frage gestellt, ob ich mir den grossen Zeitaufwand, den ein solches Amt mit sich bringt, leisten kann. Es wäre unverantwortlich, in einen Wahlkampf einzusteigen, ohne sich der Konsequenzen bewusst zu sein. Aber Sie haben recht: Neben den vielen Stunden, die für das Amt aufgebracht werden, braucht es auch Erholungsphasen. Ich schöpfe viel aus den kleinen Momenten: ein fröhlicher Abend mit Familie oder Freunden, ein Spaziergang mit meiner Hündin im Bettinger Wald oder Urban Gardening auf meiner Terrasse.

Irgendwo habe ich gelesen, dass Sie zwölf Jahre lang mit grosser Begeisterung als Lehrbeauftragte für Strafrecht an der juristischen Fakultät der Uni Basel tätig waren. Wie begründen Sie diese Motivation?

Ich habe grosse Freude an komplexen juristischen Heraus- forderungen. Das Recht muss immer wieder neu geschrieben und neu angewandt werden, um mit der gesellschaftlichen Entwicklung Schritt zu halten. Wenn ich dazu beitragen konnte, bei den Studierenden dieses Feuer für strafrechtliche Fragestellungen zu entfachen, dann macht mich das glücklich.

Seit Anfang Februar 2021 steht mit Ihnen erstmals eine Frau dem Basler Justiz- und Sicherheitsdepartement vor. Welche Vorteile können durch einen femininen Blickwinkel in dieser wichtigen sowie anspruchsvollen Position generiert werden?

Mir wurde diese Frage schon ein paar Mal gestellt. Ehrlich gesagt, scheint diese Tatsache für andere mehr Bedeutung zu haben als für mich. Ich versuche, das Justiz- und Sicherheitsdepartement so gut wie möglich zu führen, unabhängig vom Geschlecht. Das haben die Männer vor mir bestimmt auch so gehandhabt. Und wenn für die Männer das Geschlecht keine Rolle gespielt hat, sehe ich nicht, weshalb es für mich eine spielen soll. Ja, ich habe bei expliziten Frauenthemen natürlich eine andere Lebenserfahrung als ein Mann. Aber auf die Entscheidungsfindung hat das keinen grossen Einfluss. Es wäre verheerend, wenn wir in Fachthemen zu unterschied- lichen Handlungsweisen kommen, nur weil die Departements- spitze männlich oder weiblich ist.

Schreibtischarbeit oder mitten im Leben – wie nahe am Menschen kann man als Justizdirektorin noch sein?

Das Justiz- und Sicherheitsdepartement ist glücklicherweise eines, das sehr nahe bei den Menschen ist. Für mich ist es sehr wichtig, dass ich mich nicht nur mit Dokumenten und Arbeits- blättern befasse, sondern auch zu den Menschen den Kontakt suche. Einerseits will ich wissen, wie die Bevölkerung auf unsere Dienstleistungen reagiert, und nehme deshalb immer wieder einen Augenschein vor Ort oder treffe mich mit Anspruchsgruppen zum Gespräch. Andererseits will ich auch wissen, was unsere rund 2 000 Mitarbeitenden im Departement bewegt. Ich lade regelmässig zum Austausch ein. Bei Anlässen rede ich nicht immer nur mit denselben wenigen Geschäftslei- tungsmitgliedern, sondern auch mit allen anderen Anwesen- den. Ich mache Nachtdienste mit den Blaulichtorganisationen
auf der Strasse oder gehe in die Gefängnisse zu Gesprächen mit Inhaftierten. Sie sehen: Ich will nicht im Elfenbeinturm sitzen.

Auf welchen Grundpfeilern basiert Ihre politische Philosophie?

Ich bin überzeugt davon, dass wir mit ideologischen Scheuklappen nicht sehr weit kommen. Ich schaue mir immer alle Lösungsansätze an, solange wir die Regeln einhalten. Wir alle müssen uns an die geltenden Gesetze halten. Eigentlich sollte das selbstverständlich sein. Man hat mich deswegen aber auch schon «Hardlinerin» oder «Iron Lady» genannt. Das finde ich etwas befremdend. Ich will keine strengeren Gesetze. Aber jene, die es gibt, müssen eingehalten werden.

Truppenbesuch beim Gotte-Bataillon Pont Bat 26

Und welche Werte ziehen sich wie ein roter Faden durch Ihr Privatleben?

Ich denke, eine gute Portion Optimismus und Humor waren mir immer treue Begleiter. Nur wenn man an das glaubt, was man tut, und seinem Umfeld vertrauen kann, kommt man weiter, auch wenn es ab und an Höhen und Tiefen gibt.

Was möchten Sie im Rahmen Ihrer politischen Tätigkeit als Regierungsrätin in Basel zukünftig bewegen?

Es ist klar, dass die Stadt Basel als Zentrum des Dreilands im Bereich der Sicherheit besonders herausgefordert ist. Es gibt viele Faktoren, die nicht in der Zuständigkeit der Polizei oder unseres Departements liegen: Ich denke da an die Stadtent- wicklung, offene Grenzen oder die 24-Stunden-Gesellschaft. Die Bevölkerung erwartet bei der Sicherheit eine Verbesserung, und weil wir die «Sicherheit» im Namen unseres Departements tragen, richten sich alle Augen auf uns. Ich nehme das sehr ernst und wir tun alles, was in unserer Kompetenz liegt. Daneben werde ich auch dafür eintreten, dass wir die Herausforderungen bezüglich Sicherheit mit unseren Partnern in anderen Departementen oder auf Bundesebene vernetzter angehen.

Basel ist laut Statistik die Kriminalitätshauptstadt der Schweiz. Worin sehen Sie in Ihrer Funktion als Vorsteherin des Justiz- und Sicherheitsdepartementes den derzeit grössten Handlungsbedarf?

Wir sind dazu übergegangen, die Zusammenarbeit mit Partnerorganisationen oder anderen Departementen zu verstärken. Mit den IWB haben wir zum Beispiel am Rheinbord das Beleuchtungskonzept angepasst und können potenzielle Gewalttäter aus der dunklen Anonymität herausholen. Letztlich ist es so: Die Bevölkerung erwartet von der Polizei, dass sie «aufräumt». Unsere Kantonspolizei steht aber häufig am Ende einer ganzen Kette von Entwicklungen. Es ist deshalb in unser aller Interesse, dass wir bei allen kantonalen Tätigkeiten sehr früh auch an die Sicherheit denken, zum Beispiel bei Bau- und Entwicklungsprojekten oder bei der Gesetzgebung.

Das Projekt «Halt Gewalt!» wurde vor fast 25Jahren als das erste grössere kantonale Projekt im Bereich der häuslichen Gewalt lanciert. Sie haben sich kürzlich sehr für eine Neuauflage dieses Projekts engagiert und sind dem Kampf gegen Gewalt in Ehe und Partnerschaft mit innovativen Methoden entgegengetreten. Was konnten Sie mit dieser Kampagne bis jetzt erreichen?

Unser Ziel ist eine erhöhte Sensibilisierung der Bevölkerung für dieses Thema. Weil häusliche Gewalt häufig hinter verschlossenen Türen passiert, gibt es meistens nur wenige Personen, die etwas mitbekommen oder Verdacht schöpfen können: zum Beispiel Nachbarn, Lehrer oder andere enge Bezugspersonen. Diese sind aber häufig verunsichert und wissen nicht, was ihre Handlungsoptionen sind. Das führt dazu, dass nichts geschieht. Deshalb gehen wir auch von einer sehr hohen Dunkelziffer aus. Mit der Kampagne möchten wir bewirken, dass mehr Personen den Mut aufbringen, eine Meldung zu erstatten. Allerdings würde das ironischerweise in der Statistik zu mehr und nicht zu weniger Kriminalität führen, weil die Fälle dann endlich erfasst würden.

Damit im Kanton Basel-Stadt ein hohes Level rund um den Sicherheitsbereich eingehalten werden kann, braucht es bestens ausgebildete Mitarbeitende im Bereich Polizei, Feuerwehr, Sanität et cetera. Wie gut ist Basel-Stadt da aufgestellt?

Sie legen da den Finger tatsächlich auf einen wunden Punkt. In der Schweiz ist es bekanntlich derzeit schwierig, geeignetes Personal zu finden. Vor dieser Entwicklung werden auch unsere Blaulichtorganisationen nicht verschont, im Gegenteil: Dort wird das Problem sogar noch durch die Tatsache verschärft, dass wir keine Lockerungen an die Anforderungen machen können und wollen. Die Tätigkeitsbereiche, die mein Departement abdeckt, sind fast alle geprägt von einem hochsensiblen Umfeld. Da kann es um Leben und Tod gehen. Zudem erfüllen wir hoheitliche Aufgaben. Hier dürfen wir uns nicht mit verminderten Anforderungen an die Mitarbeitenden zufriedengeben. Der Regierungsrat erarbeitet derzeit eine gesamtstrategische Analyse, um den Handlungsbedarf je nach Branche zu eruieren. Wir als Departement haben bereits Massnahmen zur Arbeitgeberattraktivität umgesetzt, sofern diese in unserer eigenen Kompetenz liegen.

Zum Schluss: Was war der bisher emotionalste Moment in ihrer Amtszeit?

Als ich kürzlich den Anruf bekam, dass ein Neugeborenes in der Babyklappe abgegeben wurde und ich in meiner Funktion als Justizdirektorin ihm den Namen gegeben habe. Dieses kleine Wesen in den Armen zu halten, hat mich tief berührt.

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