Der Herr des Kaffees

Interview mit Karsten Ranitzsch von Yvonne Beck

Karsten Ranitzsch hat eine der coolsten Berufs-Bezeichnungen der Welt. Er ist «Head of Coffee». Sein Metier sind der Rohkaffee und die Produktentwicklung bei Nespresso. Er trägt daür Sorge, dass nur das Beste in den kleinen bunten Kapseln landet.

Karsten Ranitzsch hat sich dem perfekten Kaffeegenuss verschieben. Er ist verantwortlich für die Entwicklung neuer Grand Crus und Limited Editions beim Kapselhersteller Nespresso. Zudem pflegt er sehr enge Beziehungen zu Kaffeebauern auf der ganzen Welt. Nur so kann er sicherstellen, dass die verwendeten Kaffeesorten unter den bestmöglichen Bedingungen angebaut werden. Als Head of Coffee überschaut er für Nespresso die gesamte Reise des Kaffees – vom Baum bis zur Tasse. Der «Geschäftsführer» traf den auch privat passio nierten Kaffeetrinker in Berlin im Rahmen des «Nespresso Ateliers 2016» und sprach mit ihm über die Kunst der Sensorik, Nachhaltigkeit und den ultimativen Kaffeegenuss.

«Geschäftsführer»: Herr Ranitzsch, Sie haben einen spannenden Jobtitel «Head of Coffee». Was ist das und wie wird man so was?
Karsten Ranitzsch: Im Grunde genommen geht es um die Auswahl des Kaffees, die Selektierung der Regionen, von denen wir Kaffee kaufen, über die Komposition der Produkte bis hin zur fertigen Mischung. Das Ganze läuft alles unter dem Banner der Produktentwicklung, ich arbeite jedoch ganz eng mit dem Marketing zusammen. Zudem machen wir Konsumentenstudien, testen unterschiedliche Prototypen, um herauszufinden, welche neuen Trends es gibt und welche zukünftigen Entwicklungen wir anstreben sollten. Da wir mit den Kaffeebauern zusammenarbeiten und nicht einfach über Dritte Kaffee ankaufen, haben wir zudem ein enormes Fachwissen und sind ständig am Puls des Kaffee- Geschehens. Zudem gehören zu meinem Aufgabenbereich alle wissenschaftlichen Kaffee-Themen im Unternehmen und die Schulungen unserer weltweiten Kaffee-Experten.

Sie müssen einen guten Geruchs- und Geschmackssinn haben. Kann man Sensorik lernen?
Schmecken kann jeder Mensch, aber jeder Mensch hat eine unterschiedliche Sensibilität. Der eine schmeckt eher sauer, der andere ist Süssem gegenüber sensibler – jeder Mensch hat also eine bestimmte Veranlagung. Das Wichtigste ist Übung und Training, denn das, was man schmeckt, ist relativ schwer zu beschreiben. Untrainierte haben ein sehr begrenztes Vokabular. Man muss lernen, persönliche Präferenz möglichst objektiv beurteilen zu können. Der persönliche Geschmack muss in den Hintergrund gestellt werden. Zum anderen muss man ein Vokabular entwickeln, damit man sich mit seinen Kollegen verständigen kann. Dieses ist dem Wein vokabular sehr ähnlich. Wenn ich zum Beispiel von «Potatoe Flavour» spreche, ist für den Fachmann klar, dass ich nicht den Geschmack einer gekochten Kartoffel meine, sondern eher der Geruch einer aufgeschnittenen rohen Kartoffel – sprich, der Geschmack erinnert an diesen Geruch.

Wie können Sie gleichbleibende Qualität sicherstellen? Und wie wichtig ist für Sie der Begriff Nachhaltigkeit?
Wir arbeiten mit 70’000 Kaffeebauern zusammen. Allein in Kolumbien haben wir ein Cluster von 10’000 Kaffeebauern. Doch wir arbeiten systematisch mit den einzelnen Bauern auf ihren Plantagen. Sprich, die Bäume werden regelmässig zurückgeschnitten, wir analysieren das Erdreich auf Nährstoffe, wir stellen Windbarrieren auf, pflanzen Schattenbäume, legen Korridore an usw. Nur so können wir sicherstellen, dass wir den Kaffee, den wir einsetzen, auch in Zukunft weiter beziehen können. Deshalb bringen wir uns ganz stark in unsere Wertstoffkette ein und arbeiten direkt mit den Bauern vor Ort. Jedes Agrarprodukt ist anfällig, und gerade Kaffee ist recht empfindlich. Wir können den Bauern vor Ort helfen, Schädlinge in den Griff zu bekommen. Wir schaffen für Kaffeebauern vor Ort wieder Anreize, guten Kaffee anzubauen. Wir dürfen nie vergessen, wie abhängig wir von den Kaffeebauern sind, und daher geben wir jegliche erdenkliche Unterstützung vor Ort. Nachhaltigkeit ist daher eine ganz natürliche und tägliche Geschichte für uns. Denn ohne gute Kaffeebauern gäbe es Nespresso nicht mehr lange.

Nespresso bringt in regelmässigen Abständen Limited Editions heraus. Die Vorarbeit, bevor eine solche Edition auf den Markt kommt, ist recht gross. Warum betreibt Nespresso einen solchen Aufwand für etwas, was relativ schnell wieder vom Markt verschwindet?
Wir überraschen gerne mit ganz neuen Sorten, und bei den Limited Editions haben wir hierfür eine tolle Möglichkeit. Bei den Limited Editions können wir ausprobieren, wie Neues ankommt. Als bestes Beispiel gilt Kazaar. Es war der erste Kaffee mit einer 12er-Intensität, in dem zudem der Robusta-Anteil dominiert. Kazaar ist so gut angekommen, dass wir ihn in das feste Programm aufnehmen mussten. Was gar nicht so einfach ist, denn wir mussten mit den Kaffeebauern eng zusammenarbeiten, um ein Robusta-Niveau zu erlangen, das den Markt nicht für sechs Wochen, wie bei der Limited Edition, befriedigt, sondern für zwölf Monate pro Jahr.

Kommt dieser starke Kaffee in jedem Land gleich gut an?
Nein, der Kazaar ist ein Kaffee, der ganz klar polarisiert. Aber in den südlichen Ländern, vor allem in Portugal, ist er der Renner. Die verschiedenen Lieblingssorten haben immer etwas mit der Kaffeekultur des einzelnen Landes zu tun. Bei der Intensität ist beispielsweise ein SüdNord-Gefälle zu verzeichnen. Deutschland ist ganz klar ein Lungo-Land. Es ist und bleibt das Kaffee-und-Kuchen-Land, in dem Filterkaffee aus dem guten Geschirr getrunken wird. Und dieses Geschirr hat die Grösse unserer Lungos. Man merkt den Ländern ihre historische Kaffeekultur ganz deutlich an.

Trinken Sie privat noch gerne Kaffee, und wenn ja, was trinken Sie am liebsten?
Ich trinke zirka zwölf Tassen am Tag. Meine Kaffeesorten variieren über den Tag, denn ich habe nicht immer die gleiche Laune, und ich passe meinen Kaffee meinen Mahlzeiten an. Ich starte den Tag meist mit einem Lungo, im Laufe des Tages tendiere ich dann zu einem leichteren Espresso, und nach dem Essen genehmige ich mir auch mal einen Kazaar – abhängig davon, ob mein Essen scharf war oder vornehmlich aus Gemüse bestand. Das ist wiederum ganz ähnlich wie beim Wein.

Beim Weingenuss spielt das richtige Glas eine grosse Rolle. Wie sieht das beim Kaffee aus? Woraus trinkt ein Head of Coffee seinen Kaffee?
Natürlich nur aus Riedelgläsern … Ich durfte diese Gläser miteinwickeln und finde es ganz spannend zu beobachten, wie der Kaffeegenuss aus einem Glas ein Ritual provoziert. Ähnlich wie beim Wein schaut und riecht man, bevor man trinkt. Das geschieht ganz automatisch, und man schmeckt ganz deutlich einen Unterschied. Die Zusammenarbeit mit der Firma Riedel war eine sehr spannende und bereichernde Sache, und ich trinke wirklich auch zu Hause meinen Kaffee sehr oft aus diesen Gläsern.

Kaffee ist für Sie in drei Worten …
Ich kann nicht ohne! Okay, das waren vier Worte. Mich begleitet Kaffee nun seit über 30 Jahren, und es ist nach wie vor ein sehr spannendes Feld, da ständig etwas Neues passiert.