Innovative Konzepte in schwierigen Zeiten

Interview mit Christoph Jenzer

Christoph Jenzer

Die Pandemie-Krise stellt auch für erfolgreiche Unternehmer wie Christoph Jenzer, der die Jenzer Fleisch und Feinkost AG leitet, große Herausforderungen. Das Alesheimer Unternehmen – mit Filialen in Reinach und Muttenz – entliess keine Mitarbeitenden, führte keine Kurzarbeiten ein und beanspruchte keine Staatliche Hilfe, sondern reagierte schnell auf die veränderten wirtschaftlichen Rahmenbedingungen und entwickelte neue Konzepte.

So lancierte die Jenzer Fleisch & Feinkost AG innert kürzester Zeit einen erfolgreich angelaufenen Hauslieferservice für die Region, organisierte die Mitarbeiterteams neu, um Arbeitsprozesse neu auszulasten, entwickelte die Herstellung vegetarischer Produkte weiter oder baut den Bereich Digitalisierung im Bereich des Onlineshops aus. Ein weiteres Projekt, das Christoph Jenzer schon seit einiger Zeit verfolgt, ist die Idee, Rinder, Schafe oder Schweine, die im Baselbiet gezüchtet wurden, in einem zu errichtenden, regionalen Schlachthof zu schlachten und möglicherweise dort zu regionalen Fleischspezialitäten zu verarbeiten. Zum Familienunternehmen mit 122-jähriger Geschichte, das von Christoph und Barbara Jenzer in vierter Generation geleitet wird, gehören auch das 4-Sterne-Hotel und der Gasthof «Zum Ochsen» im Herzen Arlesheims. Die Jenzer Fleisch & Feinkost AG beschäftigt rund 80 Mitarbeitende, davon acht Auszubildende und zwei Metzgermeister in Ausbildung. Die vor über 30 Jahren geschaffene Eigenmarke «Jenzer-Natura-Qualität» ist Programm. In den Geschäftsauslagen finden die Kunden hochwertiges Fleisch mit regionaler Herkunft aus besonders artgerechter Haltung und natürlich auch die preisgekrönte «Goldwurst» sowie ein grosses Sortiment an weiteren Wurstprodukten. Zum grossen Angebot gehören auch Freilandpoulet, frische Fische, ausgewählte Käsesorten, regionale Weine und Biersorten sowie Gourmetspezialitäten. Der Name Jenzer steht auch für originelle und nachhaltig hergestellte Eigenkreationen. In Arlesheim befindet sich auch die hauseigene und auf Ressourcen schonende ausgerichtete Produktion, wo – neben der kundengerechten Bearbeitung und Konfektionierung von Fleisch – die bekannte «Goldwurst» und weitere 50 Wurstsorten oder Burger nachhaltig produziert werden. Die tägliche Produktion Brät beläuft sich auf ca. eine Tonne. Dies entspricht rund 10’000 Mahlzeiten. Im Gespräch mit dem «Geschäftsführer» spricht Christoph Jenzer darüber, wie er als Unternehmer die durch die Pandemie verursachten wirtschaftlichen Auswirkungen bewältigt und erklärt seine Philosophie, mit innovativen Ideen Nachhaltigkeit, in deren Mittelpunkt gleichermassen die Gesundheit der Kunden, das Tierwohl und der Klimaschutz stehen, als Geschäftsmodell voranzutreiben.

«Geschäftsführer»: Welche Konsequenzen ziehen Sie als Unternehmer aus den Auswirkungen der Pandemie?
Christoph Jenzer: Gewisse Geschäftsbereiche, wie zum Beispiel die Belieferung von Restaurants und Grossabnehmern oder der Partyservice sind zeitweise nahezu ganz eingebrochen und erholt sich wieder langsam. Für mich als Unternehmer stellte sich dabei die Herausforderung, wie bringe ich die Firma durch die Krise, ohne Mitarbeitende entlassen zu müssen und welche Massnahmen ergreife ich, um mangelnde Nachfrage zu kompensieren. Dabei war es mir wichtig, nicht einfach staatliche Hilfe in Anspruch zu nehmen, sondern proaktiv zu agieren und – auch mit Blick auf die Zukunft – neue Konzepte zu entwickeln.

Dafür brauchen Firmen in der Regel längere Zeit, und Unternehmensberater raten ja zum Beispiel dazu, dass sich Unternehmen nicht zu sehr verzetteln und sich auf ein erfolgreiches Kerngeschäft beschränken sollten – wie sind Sie vorgegangen?
Wenn ich dieser Überlegung gefolgt wäre, hätten wir uns zum Beispiel auf die Herstellung unseres Erfolgsproduktes «Goldwurst» konzentrieren müssen und keine Fachgeschäfte sowie Partyservice betreiben sollen. Für mich war eine solche «Spezialisierung» keine Option, und es hat sich gezeigt, dass wir mit unserem breiten und hoch qualitativen Produkteangebot gut durch die Krise gekommen sind, weil die Kunden gerade die trotz grossem Angebot überschaubare Grösse unserer Geschäfte schätzen. Wir konnten aber dennoch nicht einfach die Hände in den Schoss legen und auf das Ende der Krise warten, sondern mussten neue Möglichkeiten erschliessen. So haben wir innerhalb von 48 Stunden einen Hauslieferdienst auf die Beine gestellt, der mittlerweile über 1 000 Bestellungen bei Kunden in der ganzen Region ausführt hat und sehr beliebt ist.

Wie haben Sie die innerbetrieblichen Prozesse angepasst?
Unsere Mitarbeiter sind alles gelernte Metzger mit Ausbildung auf verschiedenen Abteilungen. So konnten wir in der neuen Ausgangslage sehr flink reagieren und die Teams der Nachfrage entsprechend zusammenstellen. Vor allem die Teams in den Fachgeschäften wurden mit Mitarbeitern der Produktion verstärkt. Ein wichtiger Faktor zurzeit ist auch die Entwicklung neuer vegetarischer Produkte. Ein weiteres Entwicklungsfeld betrifft die Digitalisierung, welche wir nun stark vorangetrieben haben. Täglich bestellen die Restaurants und Grossisten, ihre Bestellungen via unserer Online-Plattform. Dies gibt ihnen Vorteile, und wir müssen um 4 Uhr am Morgen nicht mehr zuerst den Telefonbeantworter mit 50 Bestellungen abhören.

An Ihrer Philosophie, mit innovativen Ideen Nachhaltigkeit, in deren Mittelpunkt gleichermassen die Gesundheit der Kunden, das Tierwohl, die Ressourcenschonung und der Klimaschutz stehen, als Geschäftsmodell voranzutreiben, hat sich durch die Pandemie nichts geändert?
Im Gegenteil! Gerade die aktuellen Vorfälle in deutschen Schlachtbetrieben, wo Profitmaximierung über die Gesundheit der Menschen und des Tierwohls gestellt wurde, bestärken mich, unsere Philosophie konsequent weiterzuverfolgen. Wir sind für die Gesundheit unserer Kunden mitverantwortlich! Nur gesunde Tiere, denen es gut geht, geben auch gesundes, hoch qualitatives Fleisch. Seit 1996 verkaufen und verarbeiten wir deshalb nur Fleisch von Tieren, das aus besonders artgerechter Tierhaltung stammt. Die Fleischqualität ist markant verbessert. Wir verwenden – und das ist schweizweit einmalig – Fleisch von antibiotikafreien «Freilandsäuli» vom Gutsbetrieb der Anstalten Witzwil. Unsere Baselbieter Kälber stammen aus kleinbäuerlicher Mast und dürfen tausend Liter hofeigene Vollmilch trinken. Das Rindfleisch stammt möglichst aus Mutterkuh- und Freilandhaltung. Wir legen zudem für das Tierwohl und aus ökologischer Sicht auch grössten Wert auf möglichst kurze Transportwege.

Zu Ihren Leitsätzen gehört auch die sogenannte «Nose to Tail»- Philosophie – was bedeutet das?
Die «Nose to Tail»-Philosophie beinhaltet die ganzheitliche Verwertung von Tieren. Salopp formuliert heisst das, dass wir aus «Abfall» neue Produkte machen, und damit Nachhaltigkeit schaffen. Bei uns werden die Fette von Freilandtieren zu Schmalz verarbeitet, anstatt ökologisch unsinniges Palmfett einzusetzen. Die gewonnenen Fette verarbeiten wir zu Spezialitäten, wie zum Beispiel für den Teig unserer Pastete «Coq au vin», die mein Sohn Raffael für seine Maturarbeit kreiert hat. Das Schweinefett macht den Teig knusprig und schmackhaft. Zudem benutzen wir nicht mehr genutzte Teilstücke wie Legehennenfleisch und Pouletleber. Ein weiteres Beispiel ist die Verwendung von tierischem Bindegewebe für Griebenschmalz, was einen wunderbaren Brotaufstrich ergibt. Das alles ist eigentlich nicht neu und war früher einealtbekannte Praxis – wir erwecken einfach alte Produkte wieder zu neuem Leben. Apropos Tradition: Wir lassen das Fleisch wie früher ein bis zwei Wochen offen am Haken mit den Knochen «abhangen», so wird es aromatischer und zarter.

Bereits stehen – mit der fünften Jenzer-Generation – Ihre Kinder für die Fortsetzung der Familientradition bereit – was empfinden Sie dabei?
Ich freue mich, denn die neue Generation stellt neue Fragen, welche zu neuen Antworten und neuen Lösungen in die Zukunft führen wird. Es erinnert mich auch an die Zeit, als ich in den elterlichen Betrieb hineinwuchs, meine Frau Fragen stellte nach artgerechter Tierhaltung und Ökologie– mit der Konsequenz, dass sich das Unternehmen neu aufstellte.

WWW.GOLDWURST.CH