«Man muss den Club als grosses Ganzes sehen»

INTERVIEW MIT MARCEL KOLLER VON NIGGI FREUNDLIEB

St. Jakob Stadion.

Seit August 2018 ist Marcel Koller Trainer des FC Basel. Unter dem nach der frühen Entlassung von Raphael Wicky nach Basel geholten Trainer beendete der FCB die Saison 2018/19 wie im Vorjahr hinter dem BSC Young Boys als Vizemeister und wurden zum 13. mal Schweizer Cupsieger. Nach zwischenzeitlich Clubinternen Turbulenzen hat sich die Mannschaft diese Saison positiv weiterentwickelt, kann sich berechtigte Hoffnungen im Titelrennen um die Nationale Meisterschaft machen und steht International als Gruppen-erster in den 1 / 16-Finals der Europa League.

Marcel Koller, ehemaliger 55-facher Nationalmannschaftsspieler, der bereits als 18-Jähriger seinen ersten Profivertrag als Spieler bei GC erhielt, gilt als äusserst kompetenter Fussballlehrer, der in der Schweiz, in Deutschland und in Österreich erfolgreich arbeitete. Kultstatus erlangte er in Österreich, als unter ihm sich dessen Nationalteam für die EM 2016 qualifizierte und erstmalig unter die Top 10 der FIFA-Weltrangliste vorstiess. Im  Gegensatz zu vielen Trainerkollegen scheut Marcel Koller die grosse Pose. Er arbeitet akribisch und zielorientiert mit seinen Teams, verfolgt unbeirrt seinen Weg, kann aber auch flexibel auf sich verändernde Umstände reagieren und verhält sich loyal gegenüber seinen Arbeitgebern.

Im Interview mit dem «Geschäftsführer» spricht Marcel Koller über seine bisherige Zeit beim FCB, vor allem aber gibt er Einblicke in seine Philosophie, ein Fussballteam zu führen beziehungsweise zum Erfolg zu bringen. Dabei dürften seine Aussagen nicht nur Fussballfans, sondern auch Führungskräfte aus der Wirtschaft interessieren, denn was diesbezüglich für ein Fussballteam gilt, findet auch in zentralen Bereichen für Unternehmen
seine Anwendung.

«Geschäftsführer»: 2019 muss ein denkwürdiges Jahr für Sie gewesen sein: Übernahme des Teams nach zwei Pflichtspielen im August 2018 von Raphael Wicky, dann zwar Cupsieg, aber darauffolgende clubinterne Turbulenzen und vorübergehende Entlassung sowie Wiedereinsetzung vor Saisonstart 2019 und ein gravierender Velo-Unfall letzten Sommer – wie viel Energie habe Sie all diese Ereignisse gekostet?
Marcel Koller: Es war in der Tat nicht einfach, ohne Vorbereitung in einer schon laufenden Spielzeit das Team zu übernehmen. Nach den Erfolgen der Vergangenheit war die Erwartungshaltung enorm. Der Club selbst und das Team waren immer noch in einer Umbruchphase, und ich musste zuerst die Spieler, das Umfeld sowie die Mechanismen des Vereins kennenlernen – kurzum, die Herausforderungen waren gross. Der Gewinn des Cuptitels und das Erreichen des zweiten Meisterschaftsranges kann unter diesen  Umständen sicher als grosser Erfolg bezeichnet werden. Über die «Turbulenzen» vor dem Saisonstart 2019 mag ich nicht mehr sprechen. Die Situation wurde bereinigt, und ich fühle mich beim FCB sehr wohl und arbeite gerne hier. Gesundheitlich geht es mir nach meinem Velo-Unfall wieder einigermassen, wobei ich sagen muss, dass ich Glück im Unglück hatte.

Der Spieler Raoul Betretta hat in einem Interview gesagt «Marcel Koller hat Zeit gebraucht und wir haben Zeit mit ihm gebraucht» – können Sie dieser Aussage zustimmen?
Es war mir von Anfang an bewusst, dass ich unter den vorher geschilderten Umständen Zeit brauche, um die Mannschaft nachhaltig zu entwickeln. Auch wenn wir noch nicht am Ende des Weges angelangt sind und dieser Prozess weitergehen muss, ist das
Team stabiler geworden. Ich kenne nun die Stärken und Schwächen der Spieler, die immer besser meine Vorgaben umsetzen. Im Fussball kann natürlich immer wieder Unvorhergesehenes passieren, aber ich denke, wir sind auf einem guten Weg, sind konkurrenzfähig im Spitzentrio der nationalen Liga und haben europäisch überwintern.

In der Öffentlichkeit steht vor allem der Trainer im Fokus – welche Bedeutung hat für Sie aber der gesamte Staff? 
Sportlich gibt der Trainer zwar die Richtung vor und trägt schlussendlich die Verantwortung für die Mannschaft, aber ohne professionellen Staff, dessen Mitarbeitenden sämtliche Aufgabenbereiche rund um das Team abdecken, geht gar nichts. Das ist Teamwork pur, und
wir sind unter einander in einem permanenten Meinungsaustausch. Entscheidend ist auch, dass wir gemeinsam auftreten und an einem Strick ziehen. Ich möchte aber auch auf die Wichtigkeit und Bedeutung aller beim FCB tätigen Mitarbeitenden hinweisen. Wir alle sind
Teil eines grossen Ganzen und arbeiten gemeinsam daran, den FC Basel weiter voranzubringen.

In einem Zeitungsartikel konnte man lesen, dass es, Zitat, Ihnen nun «gelinge, verletzten Stolz der Routiniers und ungestillten Hunger von jüngeren Spielern zu einer Erfolgsmischung zu verquirlen» – sind Sie als Trainer nun eher Psychologe, Sozialarbeiter oder Diktator, der mit harter Hand seine Ziele verfolgt, oder sind Sie eine Mischung aus all dem?
Teamführung, ob im Sport oder in der Wirtschaft, beinhaltet verschiedenste Facetten. In der Gruppe sind die Regeln für alle Spieler gleich, und ich behandle sie auch alle gleich. Dabei kann ich durchaus auch mal laut werden, aber das Team kennt mich nun auch besser und weiss, dass ich ehrlich und transparent bin, mich nicht verstelle, klare Zielvorgaben
habe, die ich konsequent verfolge, und das Gesagte selbst vorlebe. Bei meinen Entscheidungen verlasse ich mich aber stark auch auf mein Gefühl und meine Erfahrung, kann aber, wenn es die Situation erfordert, flexible Lösungen finden.

Gehen Sie denn auch individuell auf die einzelnen Spieler ein?
Jeder Spieler, ob Star oder junges Talent, ist ein eigenständiges Individuum und hat seinen eigenen Charakter. Dementsprechend muss ich flexibel und sensibel in der persönlichen Ansprache, mit Respekt und auf Augenhöhe, auf ihn reagieren. Meine Aufgabe ist es, jeden Spieler weiterzuentwickeln Dazu gehört, dass man auch seine Sichtweisen und seine persönlichen Umstände kennt. Je nach Situation gehe ich auf einen Spieler zu und rede mit
ihm, oder er sucht das Gespräch mit mir. Dabei habe ich ein offenes Ohr für ihn, sage aber auch, was ich von ihm erwarte und vermittle ihm meine Philosophie, denn das Ziel soll es ja sein, dass er durch seine Leistung die Mannschaft besser macht und wir Spiele gewinnen.

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